Modellkritik

Modellkritik:

Eine häufige Kritik an Ökonomen ist, dass die von ihnen verwendeten Modelle nicht ausreichend realitätsnah seien. Diese Forderung nach Realitätsnähe wird oft als selbstverständlich angesehen, ohne dass sie weiter begründet wird. Dabei wird häufig übersehen, dass Modelle auch zu realitätsnah sein können. Die britische Ökonomin Joan Robinson (1903–1983) veranschaulichte dies mit einer Analogie:
Ein Modell, das die Realität exakt abbildet, wäre so nützlich wie eine Landkarte im Maßstab 1:1.

Quelle: Essays in the Theory of Economic Growth, London: Macmillan, (1962) S. 33.

Die Landkarten-Analogie zeigt zudem, dass es nicht nur ein einziges Modell geben kann, das alles erklärt. Es gibt Straßenkarten, Seekarten, Wanderkarten usw. Welche Art von Karte (bzw. welches ökonomische Modell) geeignet ist, hängt von der jeweiligen Fragestellung ab. Gute Modelle konzentrieren sich auf die relevanten Aspekte der Fragestellung und lassen irrelevante Details aus. Schlechte Modelle hingegen übersehen die wichtigen Dinge und verschwenden Ressourcen auf Unwichtiges.

Diese Überlegungen mögen trivial erscheinen, sind aber in der Wirtschaftswissenschaft von großer Bedeutung. Die Karrierechancen junger Wissenschaftler hängen stark davon ab, ob sie in angesehenen Fachzeitschriften publizieren können. Häufig sind die Chancen besser, wenn ihre Arbeit ein formal, mathematisch formuliertes Modell enthält. Ob dieses Modell tatsächlich relevant für die Fragestellung ist, spielt manchmal eine geringere Rolle als die Komplexität des Modells.

Diese Fokussierung birgt das Risiko, dass die Ökonomie im gesellschaftlichen Diskurs an Bedeutung verliert. Das wäre bedauerlich, denn die größten Fortschritte in der Wirtschaftswissenschaft entstehen oft an den Schnittstellen zu anderen Disziplinen. Besonders die Sozialpsychologie bietet durch Behavioral Economics viele neue Impulse und Perspektiven. Auch in den Bereichen Staatsrecht und Geschichtswissenschaft gibt es zunehmend fruchtbare Überschneidungen (Institutional Economics). In diesen benachbarten Disziplinen spielt die Mathematisierung eine geringere Rolle. Die Ökonomie könnte sich daher Entwicklungsmöglichkeiten entgehen lassen, wenn sie zu sehr auf formalen Modellen beharrt.

 

Angelenht an : Henning Klodt Institut für Weltwirtschaft in Kiel  https://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=32107