Keynes einfach erklärt

Keynes für Anfänger

Auf einmal sprechen alle wieder von Konjunkturpaketen. Und von Keynes. Denn der britische Ökonom lieferte die Theorie dazu. Hier sind die Grundlagen - damit Sie mitreden können.

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Es ist das Jahr 2009. Die Immobilienkrise ist in Europa angekommen. In diesen Tagen kramen die Ökonomen ein uraltes Buch aus ihren Regalen. Es trägt den wenig bescheidenen Titel "The General Theory of Employment, Interest, and Money", auf Deutsch "Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes". Der Brite John Maynard Keynes hat es im Jahr 1936 veröffentlicht und damit die Wirtschaftswissenschaft verändert wie kein Autor nach ihm und nur wenige zuvor. Das Werk hat Keynes berühmt gemacht - und es hat ihm Feinde beschert. So wählten konservative Wissenschaftler und Politiker in den Vereinigten Staaten die "General Theory" vor vier Jahren zum zehntgefährlichsten Buch des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts.

Keynes

Trotzdem ist Keynes auf einmal wieder populär. Das liegt daran, dass er der Ökonom der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre war. Und auch wenn in der aktuellen Krise vieles anders und einiges weniger dramatisch ist als damals - Keynes' Gedanken liefern Diskussionsstoff. Vor allem wenn es darum geht, was der Staat nun tun kann. Bringt es etwas, wenn Politiker ein Konjunkturpaket auflegen oder nicht? Wer mitreden will, muss Keynes kennenlernen.


Das IS-LM-Modell veranschaulicht Keynes' Ideen grafisch

Gewöhnliche Menschen tun das allerdings lieber nicht, indem sie sein Werk lesen, das teils rhetorisch brillant und teils theoretisch hochkomplex ist. Nein, die Nachfolger von Keynes - allen voran John R. Hicks - haben es den Laien leichter gemacht. Sie haben Keynes' Ideen in ein Schema gepresst, das sich grafisch abbilden lässt (in der General Theory selbst gibt es nur eine einzige Grafik). Es ist unter dem Titel IS-LM-Modell bekannt (siehe Grafiken). Mit seiner Hilfe kann man keynesianische Gedanken verstehen.

Infografik / Keynes / Wie Ökonomen Keynes Theorie schematisiert haben - eine Kurvendiskussion © F.A.Z. Vergrößern

Dazu muss man zunächst die Grundidee des Diagramms begreifen. Sie besagt, dass es in einer Wirtschaft verschiedene Märkte gibt, die alle zu einem Gleichgewicht tendieren - also zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Die zwei Kurven des IS-LM-Diagramms stellen jeweils einen Markt dar: die IS-Kurve den Gütermarkt, die LM-Kurve den Geldmarkt. Im Schnittpunkt beider Kurven ist die gesamte Volkswirtschaft im Gleichgewicht - zu diesem Punkt strebt sie hin.

Der Gütermarkt (IS-Kurve) befindet sich dann im Gleichgewicht, wenn ebenso viele Güter angeboten wie nachgefragt werden. Dies ist der Fall - die Herleitung dazu sparen wir uns hier -, wenn die Investitionen den Ersparnissen entsprechen. Die Investitionen der Unternehmen hängen vom Zins ab. Je niedriger der Zins "r", desto billiger sind Investitionen, desto mehr wird investiert. Die Ersparnisse der Bürger hängen laut Keynes nur vom Einkommen ab. Je größer das Volkseinkommen Y, desto größer die Ersparnis. Sinkt nun beispielsweise das Volkseinkommen, so wird weniger gespart. Damit auch weniger investiert wird und der Gütermarkt im Gleichgewicht ist, muss der Zins steigen. Deshalb ist die IS-Kurve nach links geneigt.

 

Befinden wir uns in einer Liquiditätsfalle?

Der Geldmarkt (LM-Kurve) befindet sich im Gleichgewicht, wenn die Geldnachfrage der Bürger dem Geldangebot der Zentralbank entspricht. Die Geldnachfrage ist in dem Modell abhängig von Einkommen und Zins. Steigt das Einkommen der Bürger, so steigt ihre Geldnachfrage. Steigt hingegen der Zins, so sinkt die Geldnachfrage, weil Geld relativ teuer wird. Das Geldangebot wird von der Zentralbank festgelegt. Bleibt es gleich, sinkt aber das Volkseinkommen "Y", so sinkt die Geldnachfrage und wird kleiner als das Geldangebot. In der Folge muss der Zins "r" sinken, damit die Menschen trotz niedrigeren Einkommens noch genauso viel Geld halten wollen wie zuvor. Deshalb ist die LM-Kurve nach rechts geneigt.

Mit diesem Grundmodell kann man viele Situationen des Wirtschaftslebens durchspielen. Wir haben zwei ausgesucht, die zur aktuellen Lage passen. Die erste (Grafik Mitte) zeigt, wie die Zentralbank in normalen Zeiten handeln kann, um der Konjunktur einen Stoß zu geben. Die zweite (Grafik rechts) zeigt, was der Staat tun kann, wenn die Geldpolitik der Zentralbank nicht mehr wirkt.

Zur Zeit pumpen die Notenbanken viel Geld in den Markt. Sie erhöhen das Geldangebot; das führt im Modell zur Verschiebung der LM-Kurve nach unten (Grafik Mitte). Denn es gibt ein höheres Geldangebot, das nur angenommen wird, wenn zu jedem Einkommen der Zins sinkt. Es ist leicht zu erkennen, dass das im Normalfall der Wirtschaft einen Stoß gibt. Der gesunkene Zins macht Investitionen billiger, also investieren die Unternehmen mehr, das wiederum kurbelt Produktion und Beschäftigung an. Im neuen Gleichgewicht ist das Volkseinkommen gewachsen und der Zins gesunken. In einem gewöhnlichen Abschwung kann die Zentralbank so eingreifen und die Wirtschaft kurzzeitig auffangen.

Es gibt allerdings auch Situationen, in denen es nach Ansicht der Keynesianer nichts bringt, wenn die Zentralbank den Markt mit Geld überschwemmt. Etwa, wenn die Menschen alles verfügbare Geld horten und unters Kopfkissen legen, statt es anzulegen - das kann in einer Wirtschaftskrise der Fall sein oder wenn der Zins schon sehr niedrig ist.

Eine solche Situation nennen die Keynesianer "Liquiditätsfalle", und es wird heftig diskutiert, ob wir uns zur Zeit in einer solchen befinden. Der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Paul Krugman zum Beispiel glaubt, dass zumindest Amerika in der Liquiditätsfalle steckt. Ist dem so, dann bedeutet das im IS-LM-Modell, dass die LM-Kurve flach liegt (rechte Grafik). Egal, wie viel Geld die Notenbank in den Markt pumpt, es wird aufgesogen, ohne dass der Zins sinkt und die Investitionen steigen. Die Geldpolitik bringt nichts.

 

Keynes' Anhänger reden gerne vom Multiplikatorteffekt der Staatsausgaben

Dann hilft nach Ansicht der Keynesianer nur eins, um die Wirtschaft anzukurbeln und die Arbeitslosigkeit zu senken: Der Staat muss seine Ausgaben erhöhen. Was er tut, ist dabei relativ egal: Straßen oder Brücken bauen, die Schulen sanieren oder jedem Beamten einen Dienstwagen kaufen. Alles funktioniert. Denn es verändert das Gleichgewicht auf dem Gütermarkt. Die Güternachfrage wird größer als das Angebot. Das heizt die Produktion an. Das Volkseinkommen steigt zu jedem Zins; die IS-Kurve verschiebt sich nach rechts. Die Wirtschaft wächst. Mehr Menschen kommen in Arbeit.

Nach keynesianischen Vorstellungen kann der Staat auf diese Art seine Bürger so lange unterstützen, bis die Krise vorbei ist.Ob die Politik damit Erfolg hat, hängt auch davon ab, ob sie mit ihren Ausgaben die Konsumenten und Unternehmen dazu bewegen kann, ebenfalls mehr nachzufragen. Die Gesamtnachfrage erhöht sich dann nämlich nicht nur um den Betrag der zusätzlichen Staatsausgaben, sondern um einen höheren. Ohne diesen sogenannten Multiplikatoreffekt wären Konjunkturprogramme sinnlos.

Keynes begründet die Existenz dieses Multiplikatoreffekts so: Die höheren Staatsausgaben stellen für Unternehmen und Konsumenten Einnahmen dar. Weil deren Nachfrage wiederum von der Höhe ihrer Einnahmen abhängt, steigern sie als Reaktion auf die höheren Staatsausgaben ihrerseits die Nachfrage. Eine kleine Erhöhung der Staatsausgaben führt dadurch in der Regel zu einer stärkeren Erhöhung des Volkseinkommens.

Das kann man sich so vorstellen: Die Bundesregierung gibt für ein neues Stück Autobahn 10 Millionen Euro aus. Davon werden Bauunternehmen bezahlt. Deren Einnahmen erhöhen sich. Sie fragen deshalb mehr Baumaschinen nach. Die Baumaschinenhersteller wiederum kaufen mehr Rohmaterial. Und so weiter. Am Schluss steigt das Volkseinkommen um ein Mehrfaches der ursprünglichen Staatsausgaben.

 

Sparen ist für Keynes keine Tugend

Wie stark dieser Effekt ausfällt, darüber entscheidet der keynesianische Multiplikator. Sein Wert ist je nach Land unterschiedlich, kurzfristig aber nicht zu beeinflussen. In einer geschlossenen Volkswirtschaft gilt: ΔY = ΔG / s.

ΔY bezeichnet die Veränderung des Volkseinkommens, ΔG die Veränderung der Staatsausgaben und "s" die Sparquote, die angibt, wie viel von einem Euro zusätzlichen Einkommens gespart wird.

Der Multiplikator wirkt also umso stärker, je niedriger die Sparneigung ist. Abgeschwächt wird seine Wirkung durch verschiedene Formen des Versickerns; neben dem Sparen auch durch die Besteuerung und die Importe. Eigentlich logisch: Je mehr von dem zusätzlichen Einkommen von Steuern aufgefressen wird, desto geringer ist der Multiplikatoreffekt Und er ist auch umso geringer, je mehr die Menschen von ihrem zusätzlichen Einkommen Güter aus dem Ausland kaufen.

Wer diesen Einführungskurs durchgearbeitet hat, weiß, worum es geht, wenn folgende Fragen auftauchen: Befinden wir uns in einer Liquiditätsfalle? Ist der Multiplikator groß genug? Und - viel grundlegender - hatte Keynes überhaupt recht damit, dass Staatsausgaben helfen können? Wer Letzteres mit guter Begründung verneint, kann sich trotzdem auf Keynes berufen. Von seinem Ökonomen-Kollegen Paul Samuelson befragt, wieso er so oft seine Meinung ändere, sagte Keynes: "Wenn meine Informationen sich ändern, ändere ich meine Meinung. Was tun Sie, Sir?"

 

John Maynard Keynes

„We are all Keynesians now“ - „wir sind jetzt alle Keynesianer“: Schon vor mehr als drei Jahrzehnten sagte der amerikanische Präsident Richard Nixon diesen Satz. Heute würde er wieder Zustimmung finden: Es gibt kaum ein Land, in dem John Maynard Keynes (1883 bis 1946) kein Comeback erlebt. Politiker berufen sich auf ihn, wenn sie Konjunkturprogramme verabschieden, und auch in der Wissenschaft gibt es wieder viele Rückgriffe auf seine Theorien.

Kein Wunder: Schließlich war die Krise das Lebensthema des britischen Ökonomen. 1883 als Sohn eines Ökonomieprofessors in Cambridge geboren, erlebte Keynes, wie hilflos die Ökonomen der Weltwirtschaftskrise der frühen dreißiger Jahre gegenüberstanden.

Das prägte sein Werk. 1936 erschien seine „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“. Darin deutete er die Krise als eine Situation, in der die Wirtschaft sich kurzfristig nicht selbst helfen kann: Wenn die Menschen aus Sorge um die Zukunft nicht mehr konsumieren und die Unternehmen trotz niedriger Zinsen nicht investieren, entwickele sich eine Abwärtsspirale. In einer solchen Situation müsse der Staat aktiv werden und Arbeit schaffen, meinte Keynes.

 

Und heute?

2001 Aktienkrise

2008 Immobilienkrise

2019 Brexitkrise und Handelskrieg? Hören wir dann wieder auf Keynes?

 

 

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