Friedman, Milton

Radikale Idee
Milton Friedman: "Capitalism and Freedom"


Das Glaubensbekenntnis steht bereits im Einführungskapitel. "Wirtschaftliche Freiheit", schreibt der amerikanische Ökonom Milton Friedman in seinem Buch Capitalism and Freedom, sei "eine notwendige Voraussetzung für politische Freiheit". Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum seien in den vergangenen Jahrzehnten zum wichtigsten Vorwand geworden, um den Umfang staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft auszuweiten. Doch diese Argumente seien irreführend. Laut Friedman ist es gerade meist das Missmanagement des Staates, das die Arbeitslosigkeit verursacht.

milton-friedman.jpgCapitalism and Freedom, 1962 veröffentlicht, ist das populärste Buch des 1912 geborenen Wissenschaftlers. Auf 202 Seiten plädiert Friedman in leicht verständlichen, teils bissigen Sätzen dafür, dass sich der Staat aus dem Wirtschaftsgeschehen heraushalten und so wenig wie möglich regulieren solle. Wie in seinen anderen Werken will Friedman in Capitalism and Freedom die Überlegenheit freier Märkte beweisen. Freiheit - nach seinen Worten eine "seltene und empfindliche Pflanze" - hat für ihn höchste Priorität.
Dass Friedman zum "vielleicht einflussreichsten Ökonomen" in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde, wie sein Kritiker John Kenneth Galbraith meint, verdankt er seinen einflussreichen Anhängern in der Politik. Der amerikanische Präsident Ronald Reagan bemühte sich ebenso wie die britische Premierministerin Margaret Thatcher, die Ideen Friedmans in praktische Politik umzusetzen. Zudem orientierten sich Notenbanken in aller Welt an den Rezepten des US-Ökonomen, der lange Zeit an der Universität von Chicago lehrte und dessen Schüler seither als Chicago-Boys bekannt sind. Der Hauptgegner für Friedman ist John Maynard Keynes, der mit seiner Theorie die Ökonomie revolutionierte und zur Bekämpfung von Wirtschaftskrisen eine expansive Fiskal- und Geldpolitik forderte (siehe J.M. Keynes). In dem von ihm verfochtenen Monetarismus sieht Friedman die "Konterrevolution". In Capitalism and Freedom verurteilt der Amerikaner ein weiteres Mal den "plumpen Keynesianismus" und versucht nachzuweisen, dass zusätzliche öffentliche Ausgaben, für die sich der Staat verschuldet, weitgehend wirkungslos verpuffen.
Friedman selbst ist überzeugt, dass die Regierung ihre Ausgaben nicht erhöhen solle, um die Wirtschaft anzukurbeln. Denn nur indem die Geldmenge erhöht werde, und zwar stetig und ohne Ausschläge, sei Wirtschaftswachstum zu erzielen. Deshalb plädiert er in seinem Buch für eine gesetzliche Regel, mit der die Währungsbehörden verpflichtet werden, die Geldmenge jährlich um einen festen Prozentsatz auszuweiten. Die Zuwachsrate solle zwischen drei und fünf Prozent fixiert werden.
Rigoros ist auch sein Vorschlag zur Lösung der Zahlungsbilanzprobleme der Vereinigten Staaten: Er rät - ein Jahrzehnt vor dem Zusammenbruch des Weltwährungssystems mit festen Wechselkursen - zu völlig frei schwankenden Wechselkursen bei privaten Transaktionen, und zwar ohne jede Intervention auf den Devisenmärkten. Damit könnten die Marktkräfte, schreibt er, "prompt, effizient und automatisch" auf Veränderungen im internationalen Handel reagieren.
Wenn es gegen den verschwenderischen Staat geht, wird Friedman radikal. Staatliche Interventionen seien unnötig, ja meist sogar schädlich. Und so schreibt er in Capitalism and Freedom: "Was wir dringend brauchen, um ökonomische Stabilität und Wirtschaftswachstum zu erreichen, ist eine Rückführung des staatlichen Einflusses." Eine Regierung sei in einer freien Marktwirtschaft nur notwendig, um Spielregeln festzulegen und dafür zu sorgen, dass sie eingehalten werden.
Folgerichtig fordert der Nobelpreisträger von 1976 eine umfassende Deregulierung. In seinem Buch hat er konkret 14 Punkte aufgelistet: von der Beseitigung der Subventionen für Landwirtschaft und Wohnungsbau über den Abbau von Im- und Exportrestriktionen und das Streichen gesetzlicher Vorschriften über Mindestlöhne bis zum Verzicht der öffentlichen Kontrollen über Radio- und Fernsehprogramme. Die Rentenversicherung will er ebenso privatisieren wie staatliche Hochschulen. Zudem sollen sämtliche staatlichen Lizenzen oder Genehmigungen, die Bürger oder Unternehmen benötigen, um ihren Beruf oder ihr Geschäft ausüben zu können, ersatzlos entfallen.
"Bei der Umverteilung der Einkommen hat der Staat mit seinen Maßnahmen mehr Schaden angerichtet als er mit anderen beheben kann" Besonders Wohlfahrtssysteme sind ihm ein Graus, ein Betrug an allen Leuten, die noch arbeiten und Steuern zahlen. Gerade bei Sozialausgaben neigt der Staat seiner Meinung nach immer zur Verschwendung. Allerdings entwickelt Friedman zugleich den "radikalsten sozialpolitischen Vorschlag der Nachkriegsjahre" (Galbraith): die negative Einkommensteuer zugunsten der untersten Einkommensschichten. Nach Friedmans Konzept soll die Einkommensteuer bei niedrigen Einkommen nicht nur auf null sinken. Verdient der Bürger weniger als das Existenzminimum, bekommt er vom Finanzamt Geld ausgezahlt. "Der Vorteil dieser Regelung ist klar", schreibt Friedman, die negative Einkommensteuer ziele direkt auf das Problem der Armut. Und auch dabei bleibt er der liberalen Linie treu, denn die Armen sollen die Hilfe "in der nützlichsten Form, nämlich in bar", erhalten, also zur freien Verfügung.
"Der Handlungsraum der Regierung muß begrenzt werden. Ihre Hauptaufgabe muß sein, unsere Freiheit zu beschützen, Ordnung zu gewährleisten, private Verträge durchzusetzen und wettbewerbsfähige Märkte zu fördern"
Auch für die Besserverdienenden schlägt er eine einschneidende Steuerreform vor, und zwar noch radikaler, als sie später von Reagan mit seinem Dreistufentarif umgesetzt wurde. Die progressive Einkommensteuer sei wegen der vielen Schlupflöcher nur noch Fassade. Eine Einheitssteuer von 23,5 Prozent bringe dem Staat genauso viel Geld wie die Steuer mit einem progressiven Tarif (der damals in den Vereinigten Staaten von 20 bis 91 Prozent reichte). Die Einkommensteuer, die ursprünglich dafür gedacht war, Ungleichheit abzubauen und Wohlstand umzuverteilen, begünstige das Wachstum großer Unternehmen, sei ein Hemmnis für den Kapitalmarkt und entmutige Existenzgründer.
Die Körperschaftsteuer, die von Kapitalgesellschaften zu zahlen ist, will der Ökonom ganz abschaffen. Stattdessen sollen die Unternehmen ihre Gewinne an die Eigentümer ausschütten, die sie ihrerseits zusammen mit dem persönlichen Einkommen zu versteuern hätten. Und Friedman will Ausnahmen abbauen, so die Steuerbefreiung von Zinsen auf bundesstaatliche und kommunale Schuldverschreibungen oder die Sonderbehandlung von Wertpapiergewinnen.
Mit seinen radikalen Ansichten hat der Professor mächtige Anhänger gewonnen, sich aber auch viele Feinde geschaffen. "Die Götter haben ihn mit allem Erdenklichen bedacht", urteilte einmal der Ökonom Paul A. Samuelson,  ebenso Nobelpreisträger  von der renomierten Universität Chicago wie Friedman, aber einer seiner wichtigsten Widersacher, "nur nicht mit der Gabe des Vielleicht."


Milton Friedman:Capitalism and Freedom The University of Chicago Press, Chicago/London; Neuauflage 1982
Quelle: (c) DIE ZEIT 1999 Text von Isabelle Körner / leicht modifiziert von Dombergen

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