Smith, Adam

Die Bibel der Liberalen
Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen

Ein scharfer Hund, dieser Adam Smith. Im Kampf gegen militante Tee- und Branntweinschmuggler war Smith - seit 1778 Zollkommissar in Schottland - nicht zum Spaßen aufgelegt. In Briefen ist überliefert, wie er sogar das Militär zu Hilfe rief und zusammen mit seinen Kollegen alte Schiffsrümpfe an der Küste stationieren ließ - als Truppenstützpunkte. Eine überraschende Wendung, denn den gesetzestreuen Staatsdiener Smith kennt man eigentlich ganz anders.

 

1776 hatte Adam Smith (1723-1790) sein Werk Untersuchung über die Natur und die Ursachen des Wohlstands der Nationen veröffentlicht - eine monumentale, in fünf "Bücher" gegliederte Abhandlung von mehr als 1000 Seiten. Seither gilt der schottische Moralphilosoph als Vater der klassischen Volkswirtschaftslehre - und als eine Art Schutzpatron für Anhänger der freien Marktwirtschaft. Wenn es gegen Steuern und Zölle und für eine Entfesselung der Wirtschaft geht, werden immer wieder knackige Zitate vom liberalen Urvater Smith bemüht: "Große Nationen verarmen nie durch private Verschwendung und Fehlverhalten, wohl aber durch solche der öffentlichen Hand", hatte er einst gewettert. "Nichts lernen die Regierungen schneller voneinander, als wie man den Leuten das Geld aus der Tasche zieht."


Seit der Wohlstand der Nationen vor über 200 Jahren erschien, hat kein anderes Buch einen vergleichbaren Einfluß auf die Wirtschaftswissenschaft genommen - und es ist wohl auch kein zweites so oft mißverstanden worden. Smiths Verleger William Strahan war äußerst skeptisch, als er das reichlich ungeordnete Monumentalwerk des Professors zu Gesicht bekam, und zahlte ein mageres Honorar von 300 Pfund. Das Manuskript war vollgepackt mit Theorien, Analysen und Anschauungsmaterial von Smiths Reisen. Es finden sich Traktate über so spezielle Themen wie die "Ausgaben für Repräsentation des Staatsoberhauptes", dann wiederum folgen gepfefferte Angriffe auf den Größenwahn des britischen Empire und ein Aufruf zur amerikanischen Unabhängigkeit, und in jedem Kapitel ist eine gewaltige Detailflut zu bewältigen. Smith läßt nicht aus, daß die antiken Römer zunächst "nur Kupfergeld" kannten, daß der weise Isokrates für seine Kurse ein Honorar von umgerechnet 3333 Pfund, 6 Shilling und 8 Pence verlangte und daß die Stadt Hamburg an den Geldnöten ihrer Bürger 33 750 Pfund verdiente - per Pfandkreditzins (sechs Prozent). Trotzdem verkaufte sich die erste Auflage schnell, man diskutierte das Werk bald in elitären Zirkeln in ganz Europa.

 

Adam Smith eröffnet sein Werk kraftvoll mit einer Erklärung darüber, was er für die eigentliche Quelle des Wohlstands hält: "Die Arbeitsteilung dürfte die produktiven Kräfte der Arbeit mehr als alles andere fördern und verbessern", postuliert er im ersten Satz seines Werkes. Die Arbeitsteilung ist für ihn die Spezialisierung der Wirtschaftssubjekte auf das, was sie am besten können und worin sie mit zunehmender Produktionsmenge und Erfahrung immer besser werden. Smiths berühmtestes Beispiel brachte er vom Besuch einer Stecknadelmanufaktur mit: Ein Arbeiter könne allein pro Tag nicht mal 20 Nadeln herstellen. Zehn Arbeiter aber, die sich jeweils auf ein paar Handgriffe spezialisieren, könnten täglich 48 000 Nadeln herstellen.


Doch ein solches System muß landes- oder gar weltweit koordiniert werden - und Smith erläutert, warum das am besten über den Markt geschieht. Er fängt damit an, daß er den Menschen bestimmte Neigungen unterstellt: etwa zum "Tausch und Handel" und natürlich, sich materiell besserzustellen. In ausführlichen Kapiteln erarbeitet Smith daraus eine Markt- und Preistheorie und eine Theorie über den Wirtschaftskreislauf. Zwar ist nicht alles neu, was Smith da schreibt, doch er fügt die Vielzahl ökonomischer Erkenntnisse seiner Zeit zu einem geschlossenen Weltbild zusammen. Sein System aus Geld, Marktpreisen und Herstellungskosten, Löhnen, Gewinnen und Renten verwandelt am Ende den Eigennutz der Menschen in Gemeinwohl - viel effizienter als staatliche Pläne. "Der einzelne vermag ganz offensichtlich aus seiner Kenntnis der örtlichen Verhältnisse weit besser zu beurteilen, als es irgendein Staatsmann oder Gesetzgeber für ihn tun kann, welcher Erwerbszweig im Lande für den Einsatz seines Kapitals geeignet ist und welcher einen Ertrag abwirft, der den höchsten Wertzuwachs verspricht."


Die zentrale Rolle, die Smith dem Eigennutz zumißt, war wohl der häufigste Anlaß für Fehldeutungen. "Nicht von dem Wohlwollen des Fleischers, Brauers oder Bäckers erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern von ihrer Bedachtnahme auf ihr eigenes Interesse", schreibt Smith. Für den Ausgleich der Interessen sorgt die "unsichtbare Hand" des Marktes - die bekannteste Metapher der Wirtschaftswissenschaften, die im Buch eher beiläufig vorkommt (auch sie ist keine Smithsche Erfindung, sondern wird auf eine satirische Fabel zurückgeführt). Staatliche Eingriffe in dieses "offensichtliche und einfache System der natürlichen Freiheit", erläutert er, stören und führen zu schlechteren Ergebnissen. Das treibt Smith ab Buch drei zu der Frage, welche Rolle eigentlich für den Staat bleiben soll. Smith war sich für Politikerschelte ("listige Geschöpfe") nie zu schade, und die Staatstätigkeit im damaligen Großbritannien fand er viel zu umfangreich. In langen Traktaten, Untersuchungen über die "Geschichte der zivilen Gesellschaft" und Fallbeispielen führt Smith die Schädlichkeit staatlicher Eingriffe vor, auch die von Staatsmonopolen. Das geht direkt gegen die Lehren der Merkantilisten. Im Wohlstand der Nationen plädiert der spätere Zollkommissar für die Abschaffung der Zölle und will den Freihandel einführen, notfalls gar einseitig - natürlich, um die internationale Arbeitsteilung voranzubringen. Adam Smith war ein Anhänger der Globalisierung.


Das Wort vom "laissez faire", mit dem er bisweilen identifiziert wird, hat Smith allerdings nie in den Mund genommen. Der völlige Rückzug des Staates aus der Wirtschaft war nicht seine Sache. Smith hing den Ansichten seines Freundes, des Philosophen David Hume an, für den der Staat - oder präziser das Regime aus rechtlichen Arrangements, öffentlicher Politik und informellen Konventionen - zur spontanen, natürlichen Ordnung gehört, die sich unter Menschen entwickelt. Für Smith hat der Staat die Aufgabe, dem Markt durch die Justiz (und ebenso durch das Militär) seine Spielregeln zu setzen und außerdem einige klar abgegrenzte öffentliche Güter bereitzustellen: Verteidigung, Verkehrswege, Bildung. Passend hat Smith sein fünftes Buch als eine akribische Anleitung für Besteuerung und Staatsausgaben verfaßt. "Die deutschen Ordoliberalen der Frankfurter Schule können sich mit größerem Recht auf Adam Smith berufen als die Marktradikalen", sagt Razeen Sally, Experte für ökonomische Ideengeschichte an der London School of Economics.


Es ist vielen Beobachtern ein Rätsel geblieben, warum ausgerechnet Adam Smith sich mit den niederen Fragen des Wirtschaftens auseinandersetzte. Schließlich war er schon 1759 mit mit seiner Theorie der moralischen Gefühle zu Ruhm gekommen, die er für sein Meisterstück hielt. Die Universität Glasgow, an der Smith lange lehrte, war damals das Zentrum der schottischen Aufklärungsbewegung, und die Moralphilosophie galt als die höchste der Schulen. Doch beide Bücher ergänzen sich gut. Die Grundfrage der Moralphilosophen war nämlich allgemeiner Art: Wie wird eine zivilisierte Gesellschaft freier Menschen zusammengehalten?


In seiner "Theorie der moralischen Gefühle" hatte Smith nach Gründen gesucht, warum Menschen neben einem gesunden Selbsterhaltungstrieb auch Nächstenliebe und Altruismus entwickeln. Damit wandte er sich gegen ein extrem individualistisches Menschenbild à la Thomas Hobbes - so daß es seltsam klingt, wenn Adam Smith heute manchmal als Apologet von Egoismus und Raffgier herangezogen wird. Ein Zeitgenosse hatte Smith freilich schon damals gewarnt, daß er wohl den falschen Leuten Munition liefern würde. Smith wurde gelegentlich auch ein Widerspruch seines Menschenbildes in den beiden Büchern vorgeworfen. Doch der scheinbare Gegensatz löst sich auf, denn "moralische Gefühle" kommen für Smith bei persönlichen Kontakten zur Geltung. Im Wohlstand der Nationen suchte er hingegen nach einem Mechanismus für die Koordination all der unpersönlichen Transaktionen, die an einem nationalen oder Weltmarkt erforderlich sind.


Bei der Lektüre des im 18. Jahrhundert verfaßten Buches staunt man bisweilen über die Weitsicht des Visionärs Adam Smith - zum Beispiel, wenn er lange vor der Erfindung der Fließbandarbeit die Abstumpfung der Arbeiter beklagt. Um die Folgen seiner Arbeitsteilung erträglicher zu machen, hat er geradezu sozialdemokratische Konzepte angedacht: etwa eine Volksbildung für alle - was den Menschen mehr Lebensinhalt bringen und zur demokratischen Fortentwicklung beitragen solle. Und Smiths "Wohlstand" war stets für die ganze Nation gedacht. "Keine Gesellschaft kann blühen und glücklich sein, wenn die Mehrheit arm ist", warnte er. An einer Stelle forderte er sogar, zugunsten der Armen die Kutschen der Wohlhabenden mit einer höheren Abgabe zu belegen.


Vor Fehlern war er natürlich auch nicht gefeit. In seiner Wachstums- und Kapitaltheorie (Buch zwei) und in den historischen Betrachtungen greift er die sonst von ihm geachtete Schule der französischen Physiokraten an: Sie hatten postuliert, daß nur die Landwirtschaft die wirkliche Quelle für den Wohlstand der Nationen sei. Für Smith hingegen hießen die Wohlstandsquellen Arbeit und Kapitalinvestitionen - seine Meinung setzte sich durch. Bloß, daß Smith auch zwischen "produktiver" und "unproduktiver" Arbeit unterschied. Verbrauchernahe Dienstleistungen, die in den modernen Volkswirtschaften erheblich zum Sozialprodukt beitragen, zählen zur letzteren Kategorie. Doch die Informations- und Freizeitgesellschaft vorherzusagen wäre vom Urvater der modernen Wirtschaftswissenschaft auch wirklich zu viel verlangt gewesen. mehr...
Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen Aus dem englischen Originaltext von Horst Claus Recktenwald; dtv, München 1988;
Weitere Ökonomen wie D. Riccardo
 
Text von Thomas Fischermann
Quelle: (c) DIE ZEIT 1999

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